Gabrielle Staiger
Rumpenheimer Bewegungschor
Viele Jahre war der zentrale Inhalt meiner Arbeit als Choreographin die Stückentwicklung. Hatte sich ein Thema gefunden, entblätterte ich es, legte Schicht um Schicht frei, durchleuchtete und destillierte jede Einzelne, um daraus wieder einen Kosmos aufzubauen, der aus der Reflektion des Themas mit Bewegung und Körpern entstanden und voller eigener, kraftvoller Identität war.
Meine Arbeit war wie eine Musik-CD. Tracks reihten sich aneinander, die ein Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten und schliesslich mit Übergängen zu einer Geschichte der Veränderung zusammengefügt waren.
Ich wollte mit meiner Kunst Menschen berühren. Um dies zu erreichen, schuf ich um die Bewegung herum eine ganze Welt. Im Theaterraum.
Als Choreographin hat mich der öffentliche Raum immer schon interessiert.
Meine ersten choreografischen Arbeiten entstanden in Auseinandersetzung mit öffentlichen Räumen, deren Atmosphäre und Struktur. Beides empfand ich gleichermaßen als Herausforderung und sinnstiftend für die Identität eines Stückes sowie für die Entwicklung von Bewegungsvokabular.
Den Theaterraum hingegen, empfand ich damals als wenig inspirierend. In Schwarz und neutral gehalten, kann er zwar jegliche atmosphärische Identität annehmen, ich hingegen suchte nach einer organischen, aber untrennbaren Verbindung zwischen Umgebung und Tanz.
Das war in den 1990er Jahren.
Heute interessiert mich, wie Partizipation, Teilhabe und Urheberschaft am künstlerischen Prozess Menschen und damit die Gesellschaft verändern kann.
In Bewegungschören gebe ich die Möglichkeit zur Teilnahme an künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum. Dabei treten die Teilnehmer*innen durch Bewegung in einen besonderen Dialog mit sich, Anderen und ihrer Umgebung. Sie praktizieren und differenzieren Kommunikation und Wahrnehmung, erleben Empathie und Demokratie.
Nach Außen entsteht dabei eine sich beständig verändernde Skulptur.
Mir als Künstlerin ist es wichtig, diese soziale Plastik* aus Mitgliedern der Gesellschaft zu formen. Jede/r kann teilnehmen, denn „jeder Mensch ist ein Tänzer“ (Rudolf von Laban, 1879-1958, Tänzer, Choreograph, Bewegungsforscher, Begründer der Bewegungsschrift Labanotation).
Wenn Sie dabei sein möchten:
Der „Frankfurter Bewegungschor“ ist ein offenes Format für Alle.
Im 14-tägigen Rhythmus findet er sonntags an wechselnden Orten statt.
Der aktuelle Termin und Treffpunkt wird auf nebenan.de und Facebook bekannt gegeben.
Oder folgen Sie Gabrielle Staiger auf Facebook oder LinkedIn.
* Kunsttheoretisch ist der Begriff soziale Plastik Joseph Beuys zuzuordnen. Mit seinem erweiterten Kunstbegriff öffnete er nicht nur die Schranken zwischen den Kunstgenres sondern sieht Kunst als Botschaft, die die Gesellschaft verändert.
Vita
Gabrielle Staiger (1964) lebt und arbeitet seit 2010 in Frankfurt am Main.
Unter dem Label Frankfurter Bewegungschor generiert sie regelmäßig mit interessierten Laien flüchtige, durch Bewegung gestaltete künstlerische Interventionen im Öffentlichen Raum.
Von 1988-1991 studierte Gabrielle Staiger Tanz und Choreographie am Laban Centre London, heute in Trinity/Laban umbenannt. Ihre ersten Choreographien sind sitespecific und bespielen den öffentlichen Raum. 1994 erhält Gabrielle Staiger den Künstlernachwuchspreis der Stadt Ulm für ihre Produktion stages, die auf den Stufen einer leeren Zuschauertribüne spielt. Zuvor hatte sie bereits spannungsvolle Orte wie verlassene Schwimmbäder, Treppenhäuser und den Windkanal der Mercedes Benz AG in Stuttgart genutzt.
1995 entdeckt sie die Bühne für sich und produziert 23 Stücke, 13 davon abendfüllend, zumeist für die von ihr gegründeten Physical Theatre Compagnie ARAZZO Tanztheater sowie für das Repertoire von Hochschulen wie Codarts Rotterdam oder der Amsterdamse Hogeschool voor de Kunsten. Für ihre Arbeiten Fuoco Lento und Vitruvian Complex erhält sie den Kölner Tanzpreis (2000 und 2002).
Während dieser Zeit engagiert sich Gabrielle Staiger kulturpolitisch für den Tanz und begründet die Kölner Tänzerinitiative, für die sie jahrelang die Reihe tanzhautnah im Bürgerhaus Stollwerck kuratiert.
Bereits Mitte der 1990-iger Jahre entwickelt Gabrielle Staiger Arbeitsmethoden, die einen co-kreativen Prozess, Teilhabe und Partizipation ermöglichen. Zeitgleich entsteht eine eigene, auf den kreativen Prozess zugeschnittene zeitgenössische Tanztechnik, die viel internationales Aufsehen erregt. Beides unterrichtet sie viele Jahre an internationalen Hochschulen.
Schließlich folgt sie dem Ruf nach Seoul/Südkorea, wo sie an der SungkyunKwan University, eine Gastprofessur für zeitgenössischen Tanz bekleidet (2005-2006). Beim All Asian Dance Contest in Fukuoka/Japan, dem International Dance Concours Seoul/Südkorea und dem SungKyunKwan Dance Contest, ebenfalls in Seoul, saß sie zwei Jahre in der Jury.
Während der darauf folgenden Professur an der Palucca Hochschule für Tanz (2007-2009), leitet sie den Studiengang Tanzpädagogik und entwickelt das Curriculum für einen Studiengang in Community Dance.
Sie war Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg, der Stiftung Kunst und Kultur in NRW sowie Trägerin des Bessie Schoenberg Choreografie Stipendiums in den USA.